Ungehört hallen kritische Frauenstimmen durch die Jahrhunderte am Kurator vorbei.
Ja, es werden interessante Aspekte und eine Vielfalt an Kopftuch und Schleier in den einzelnen Kapiteln gezeigt, die zu Reflexion und Diskussion anregen und ebenso künstlerisch inspirierend
sind.
Dennoch sind diese Ausstellung und damit der Ausstellungskatalog bedauerlicher Weise zu brav geworden.
Ungehört hallen kritische Frauenstimmen durch die Jahrhunderte am Kurator vorbei.
Rezension von Ilse M. Seifried:
Ausstellungskatalog
Verhüllt, enthüllt! Das Kopftuch
Weltmuseum Wien
Ausstellungzeitraum: 18. Oktober 2018 bis 26. Februar 2019
Ich war in der Ausstellung und bat um ein Katalog-Rezensionsexemplar. Mir wurde nur die pdf zugeschickt. Daher kann ich zur Griffigkeit und Anschaulichkeit des Ausstellungskatalogs nichts sagen.
Die pdf ermöglichte die Wortsuche und das stellte sich als ein interessanter Ansatz heraus!
Nun, das Einstiegszitat im Ausstellungskatalog lautet:
Der Mann darf sein Haupt nicht verhüllen, weil er Abbild und Abglanz Gottes ist; die Frau aber ist der Abglanz des Mannes. Denn der Mann stammt nicht von der Frau, sondern die Frau vom Mann.
Der Mann wurde auch nicht für die Frau erschaffen, sondern die Frau für den Mann. Deswegen soll die Frau eine Macht über ihrem Haupt haben, um der Engel willen.
Paulus von Tarsus, Erster Brief an die Korinther
Damit wird eine frauendiskriminierende Sichtweise reproduziert. Die Frage muss gestellt werden: Warum wird dieser Aspekt an vorderster Stelle reproduziert und kein anderer?
Weiter geht es mit Quintus Septimius Florens Tertullianus. Der Kurator Axl Steinmann zitiert nochmals Paulus und den Papst, doch keine widerständische Frauenstimme! Keine Hoda Scharawi, keine
Terre des Femmes etc. Wieso?
Also füge ich diese hier ein:
Der Schleier gilt zum einen als Kennzeichen der Sittsamkeit der Frau, da sie sich den Blicken der Männer entzieht. Zum anderen unterscheidet sich die verschleierte Frau von den Sklavinnen.
Der Schleier dient jedoch in erster Linie als Instrument zur Trennung der Geschlechter. „Alle Formen des Körperschleiers und des Gesichtsschleiers, sind Ausdruck religiösen Fundamentalismus, der
Missachtung und Erniedrigung der Frau und ihrer Degradierung zu einem Objekt. Der Schleier, wie auch das Kopftuch, unterteilt Frauen in so genannte „ehrbare“ und „nicht ehrbare“ Frauen und ist
somit eng mit dem Themenkomplex der Gewalt im Namen der Ehre verbunden.
Terre des Femmes (aus: https://www.bundestag.de/blob/543582/5ae376c30ac98b4e2bdc37d97cb0fefb/wd-1-020-17-pdf-data.pdf
)
Ungehört hallen kritische Frauenstimmen durch die Jahrhunderte am Kurator vorbei.
Eine weitere Analyse zeigt, dass 19 Buchkapitel von Männern und nur 9 von Frauen geschrieben sind. Auch Zahlen erzählen eine Geschichte.
Nun zur Geschichte des Kopftuchs, die in vielen Spektren präsentiert ist. Auch hier eine Analyse: Das Wort „Fundamentalismus“ fehlt ebenso wie „Feminismus“ im Ausstellungskatalog. „Freiheit“
findet sich sechs Mal (zwei Mal im Zusammenhang mit als Protestsymbol gegen das gegen die Schah-Herrschaft zu protestieren und weiter im Zusammenhang mit Freiheit vom Kopftuchzwang in den Städten
des Osmanischen Reiches markiert und zusätzlich die Zeit von 1908 bis 1923 sowie in Bezug der Arbeiten von Tina Lechner und Arik Brauer.
Es hätte der Ausstellung und somit dem Buch gutgetan, über den Tellerrand traditioneller Kuration zu schauen, wie es z.B. 2016 Hans Hollein als damaliger Direktor in San Franzisko im Fine Arts
Museum getan hat mit der von ihm initiierten Ausstellung „Temporary Muslim Fashion“ (22. Sept. 2018 bis 6. Jänner 2019) https://deyoung.famsf.org/exhibitions/contemporary-muslim-fashions
Diese wurde von Jill D’Alessandro zusammengestellt. Sie gibt Raum für Mona Haydars Rapp-Video Hijabi – Rap My Hijab https://www.youtube.com/watch?v=XOX9O_kVPeo sowie Shirin Neshat 1998 gedrehten Kurzfilm „Turbulent“ https://www.youtube.com/watch?v=f2DNMG2s_O0 und der Hijab-Modedesignerin
Sarah Elenany
Es hätte der Ausstellung weiters gutgetan, die gegenwärtige Diskussion in Österreich zum Kopftuchverbot aufzugreifen.
„Was wir wirklich tun müssen, ist die Mädchen zu stärken… . Ich kann nicht sagen, dass die Mädchen sich frei entscheiden können und dann verbiete ich etwas. Das ist ein Widerspruch in sich.
Ich bin keine Freundin von Zwangsbefreiungen und Zwangsfreiheiten. … Wir tun so, als hätte der Islam ein Problem mit der Geschlechterfrage. Wenn wir uns die Zahlen anschauen zu „Gewalt gegen
Frauen“ so sehen wir, dass Gewalt durch alle Schichten alle Religionen geht. Darauf müssen wir schauen!“ Dr. Maria Katharina Moser, Direktorin Diakonie Österreich am 25.11.2018 in https://tvthek.orf.at/profile/Pressestunde/1273/Pressestunde-mit-Maria-Katharina-Moser-Direktorin-Diakonie-Oesterreich/13996370
Kleidungsverbote wie das Kopftuchverbot gehen für mich klar in die Richtung einer Machtdemonstration und Dominanzhaltung, die auch mit Fokus auf ausschließlich eine Religion diskriminierenden
Charakter hat. Für die Betroffenen kann sich die Frage stellen, inwiefern sie so akzeptiert und willkommen sind, wie sie sind. Wenn Kinder im Kindergarten so angezogen sind, dass das für ihre
Entwicklung nicht förderlich ist, gilt es mit den Eltern ein Gespräch zu suchen, um die Beweggründe zu erfahren und gemeinsam eine für das Kind angemessene Lösung zu finden. - https://derstandard.at/2000092959627/Theologin-Helena-Stockinger-Religion-ist-nicht-nur-Privatsache
Ja, es werden interessante Aspekte und eine Vielfalt an Kopftuch und Schleier in den einzelnen Kapiteln gezeigt, die zu Reflexion und Diskussion anregen und ebenso künstlerisch inspirierend
sind.
Dennoch sind diese Ausstellung und damit der Ausstellungskatalog bedauerlicher Weise zu brav geworden. Denn auch die Fragestellung, was es bedeutet, wenn eine muslimische Frau zum Dirndl ein
Kopftuch trägt (siehe https://derstandard.at/2000092819827/Gexi-Tostmann-Es-sind-die-Maenner-die-beim-Kopftuch-schimpfen)
regt zum Denken und Reflektieren an!
Womit schließt am Ende der Ausstellungskatalog? Mit diesem Zitat:
„Männer sind ebenso wenig dafür geschaffen, Frauen zu dienen, wie Frauen, von Männern beherrscht zu werden. […] Was ist der Unterschied zwischen unseren Beinen, Augen und Hirnen – und jenen
der Männer? Sind wir keine Menschen?“
(Frau Rabia, Leserbrief in der Frauenzeitschrift Terakki-i Muhadderat („Fortschritt verschleierter [= muslimischer] Frauen“) 5, 1869
Ich muss daher die Frage stellen: „Warum wird am Ende kein Zitat gebracht, das kein Fragezeichen, sondern ein Rufzeichen am Ende setzt und aktuell ist?“
Dieser Ausstellungskatalog zeigt viel Verhüllung und wenig Enthülltes!
Nicht nur Frauen mussten sich verschleiern, auch die Wirklichkeit wurde und wird verschleiert - nach wie vor!
(Lit.: Christina von Braun/ Bettina Mathes: Verschleierte Wirklichkeit. Die Frau, der Islam und der Westen. Berlin: Aufbau 2007)
Rezension von Ilse M. Seifried
https://www.i-m-seifried.at/
Alle Temporary Muslim Fashion Infos aus: https://tvthek.orf.at/topic/Kultur/6275545/Orientierung/13996372/Cool-mit-Kopftuch/14402428
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