Gastkommentar* von Peter Fischer
Wie leider nicht anders zu erwarten, kommen mit der türkis-blauen Bildungspolitik harte Zeiten vor allem auf die SchülerInnen zu. Die Großbaustelle Schule bleibt weiterhin ein Sanierungsfall,
weil grundlegende Reformen jetzt nicht einmal mehr angedacht werden, sondern zerbröckelnde, verkrustete Strukturen irgendwie armiert werden.
Retro bei den Ziffernoten
Ein Rückfall in die Zeiten Maria Theresias bedeutet die verpflichtende Wiedereinführung der Ziffernnote für alle Schultypen. Schon damals diente sie der Selektion und nicht als aussagkräftige
Rückmeldung über die tatsächlich erbrachten Leistungen. Was vor allem den VolksschülerInnen mit der Ziffernnote angetan wird, ist nicht nur unpädagogisch, sondern auch grob fahrlässig. Die Kinder
wollen und brauchen ein qualifiziertes Feedback, aber nicht durch die Beliebigkeit einer Ziffernnote, sondern z.B. in Form einer direkten Leistungsvorlage, verbunden mit einem Kinder-, Eltern-
und LehrerInnengespräch (KEL-Gespräch), oder in Form eines Pensenbuchs, das den momentanen Stand der individuellen Leistungen detailliert auflistet. Man müsste sich nur die Mühe machen, die
vielen Forschungen dazu zu studieren. Fatal ist es, wenn Kinder nicht mehr aus Neugierde lernen, sondern um der Noten Willen. Damit wird der Schulfrust, unter dem ein Großteil unserer
Gesellschaft (die neue Regierung offensichtlich in einem besonderen Maße) leidet, schon in der Volksschule grundgelegt und gepflegt!
Retro bei Schulpflichtverletzungen
Als Integrationsstaatssekretär hat Studienabbrecher Kurz schon im Jahre 2012 auf sich aufmerksam gemacht, indem er Schulpflichtverletzungen mit Strafen bis zu 1500 € gefordert hat. Damit hat er
schon damals bewiesen, dass er von der Problematik des Schule-Schwänzens nicht die geringste Ahnung hat. Als Kanzler hat er entweder nichts dazu gelernt, ist beratungsresistent oder er ist
ignorant, wenn jetzt im Regierungsprogramm von Verschärfungen die Rede ist. Über Jahrhunderte war man in der Pädagogik der Meinung, durch Strafen könne man die Kinder und Jugendlichen erziehen.
Die Prügelstrafe an Schulen wurde erst 1974, die Anwendung von Gewalt in jedweder Art von Erziehung – auch seelisches Quälen – 1989 verboten. Zwar redet man sicher nicht der Prügelstrafe das
Wort, aber in den Formulierungen spüre ich diesen unseligen und unpädagogischen Geist, der glaubt, Probleme mit höheren oder härteren Strafen lösen zu können.
Ganz schlimm finde ich, dass der „Bezug von Sozial- und Transferleistungen an die Einhaltung der aus der Schul- bzw. Bildungspflicht resultierenden Auflagen und Vorgaben“ geknüpft wird. Das
trifft wiederum vorwiegend die sozial Schwächeren, die ohnehin schon mit der Alltagslebensbewältigung ihre Nöte haben. Sie werden auch noch finanziell gestraft.
Selektion als Bildungsprogramm
In der zweiten der sechs Zieldefinitionen im Bildungsprogramm steht: „Bewährtes differenziertes Schulsystem erhalten und ausbauen“. Was hat sich bewährt? Wer definiert das? Bewährt nur für
bestimmte Eliten? Ich kämpfe seit Jahren für eine chancengerechtere Schule, die die sozial benachteiligten SchülerInnen nicht schon in der Volksschule selektiert und in Schlechtere für die
Mittelschule und Bessere fürs Gymnasium einteilt. Allen evidenzbasierten nationalen und internationalen Studien zum Trotz pflegt die neue Regierung diese im 19. Jahrhundert eingeführte Selektion
der SchülerInnen mit zehn Jahren weiterhin. Wie unmenschlich, frustrierend und unpädagogisch diese Segregation ist, habe ich schon in vielen Artikeln in der KULTUR beschrieben und mit Daten,
Fakten und internationalen Vergleichen unterlegt. Es ist auch verräterisch, wenn jetzt elitäre, konservative Kreise über die Beibehaltung dieses „bewährten“ segregierenden Schulsystems jubeln.
Jetzt können ihre Kinder weiterhin, unbeeinflusst von migrantischen und aus sozial schwächeren Gesellschaftsschichten stammenden Kindern, unter sich bleiben, auch wenn einige die intellektuellen
Voraussetzungen nicht mitbringen. Mit Geld und Beziehungen kann man sich die Bildungskarriere schon irgendwie richten.
Selektion durch Aufnahmeverfahren?
Im Regierungsprogramm steht wörtlich: „Wir wollen die Übertrittsmöglichkeiten zwischen den einzelnen Schultypen optimieren und sicherstellen, dass jede Schülerin und jeder Schüler die für sie
bzw. ihn geeignete Bildungs- und Berufslaufbahn einschlagen kann.“ Dem wird niemand widersprechen! Verräterisch aber ist der Passus, wo von „temporärer Möglichkeit von Eingangsverfahren für
höhere Schulen (AHS, BMHS) im Rahmen der Schulautonomie ermöglichen“
die Rede ist. Für mich heißt das nichts anderes, als dass jetzt die einzelnen höheren Schulen sich ihre SchülerInnen mittels Aufnahmeprüfungen aussuchen können. Auch hier wieder ein Rückschritt
in die 50er-Jahre! Eine weitere Änderung ergibt sich durch die „Auflösung der Einteilung des Bundesgebietes in standortgestützte Schulsprengel im Bereich der Neuen Mittelschule“. Für die
Schwerpunktmittelschulen gab es schon bisher die Sprengelaufhebung und ein Aufnahmeverfahren, das nicht nur die Eignung für den jeweiligen Schwerpunkt (Sport, Musik…) vorsieht, sondern auch die
schulischen Leistungen berücksichtigt (auch wenn das offiziell nicht erlaubt ist). Durch solche Maßnahmen werden die SchülerInnen schon früh in diverse Kategorien selektiert, um angeblich den
unterschiedlichen Begabungen gerecht zu werden. Das ist das Gegenteil von einer gemeinsamen, inklusiven Schule, die beinahe weltweit angestrebt wird. Aber in Österreich laufen die Bildungsuhren
eben rückwärts!
Selektion durch Separation
„Eigene Deutschklassen für Schüler, die die Unterrichtssprache nicht ausreichend beherrschen — Strenge Kriterien im Hinblick auf den Übertritt ins Regelschulwesen“. So steht es wortwörtlich im
Regierungsprogramm. Nicht verwunderlich bei diesem türkis-blauen Gruselkabinett ist dieser weitere Rückfall in die Separierungsideologie, die offensichtlich wieder fröhliche Urständ feiert. Hat
Österreich nicht schon 1938 darunter zu leiden begonnen? In eigenen Deutschklassen sollen also Kinder mit unterschiedlichen Muttersprachen die Unterrichtssprache Deutsch erlernen. Es ist eine
Binsenweisheit, dass Kinder am besten voneinander und untereinander lernen, und zwar in kürzester Zeit. Dass man Kinder temporär fördert, dagegen ist nichts einzuwenden, aber das muss im Kontext
der Inklusion passieren.
Im Jahre 2012 hat die damalige Regierung im „Nationalen Aktionsplan Behinderung 2012-2020“ die Entwicklung eines inklusiven Schulsystems beschlossen. Die vorgesehenen Maßnahmen der neuen
Regierung konterkarieren diesen Aktionsplan, wenn jetzt wieder „der Erhalt und die Stärkung des Sonderschulwesens“ explizit verlangt wird. Alle Bemühungen der letzten Jahre in Richtung inklusives
Schulsystem werden einfach ausradiert. Auch hier zeigt sich dieser unselige reaktionäre Geist der neuen Regierung!
Unpädagogisch und wissenschaftsignorant
Das neue Bildungsprogramm zeigt für mich eines ganz klar – es wurde nicht visionär und pädagogisch von den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen aus gedacht und geplant, sondern nur darüber,
wie kann man die Hoffnung und Zukunft unserer Gesellschaft, nämlich unseren Nachwuchs, in möglichst viele Kategorien einteilen. Wenn sie nicht der Norm entsprechen, werden sie entsprechend
aussortiert und/oder bestraft. Ich hatte die leise Hoffnung, dass mit dem neuen Bundesminister für Kindergärten, Bildung und Wissenschaft Heinz Faßmann mit seinem Expertenwissen in unsere
Bildungsmisere einen neuen Schwung bringen wird. Aber nach der intensiven Auseinandersetzung mit dem Bildungsprogramm ist bei mir große Ernüchterung eingekehrt und riesengroße Enttäuschung
darüber, dass alle Erkenntnisse aus nationalen und internationalen Bildungsforschungen ignoriert werden. Im Gegenteil – das Bildungsinstitut für Bildungsforschung, Innovation und Entwicklung des
österreichischen Schulwesens (BIFIE), das die NMS und die Zentralmatura entwickelt, begleitet und evaluiert hat, wird jetzt aufgelöst. Wahrscheinlich soll alles, was bisher rot-schwarz war, mit
der türkis-blauen Abrissbirne zerstört werden. Was soll man sich auch anderes erwarten von einem populistischen Studienabbrecher Kurz und einem Rechtsabbieger Strache!
Peter Fischer ist Sprecher der ARGE Gemeinsame Schule Vorarlberg und unterrichtet an der PHV
Dieser kommentar erschien auch in der Zeitschrift Kultur Februar 2018
* Gastkommentare sind Meinungsbeiträge zu bildungspolitischen oder gesellschaftlichen Debatten von Menschen die im Bildungsbereich tätig sind und/oder sich
engagieren. Ihr Kommentar spiegelt die persönliche Meinung der Autor/innen und nicht die der Redaktion wieder.
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