Dran bleiben! Das ist einer und wohl der wichtigste von vielen Ratschlägen des Radikalisierungsexperten Ahmad Mansour für Pädagogen. Der Psychologe sensibilisierte auf einem von der unabhängigen Bildungsgewerkschaft organisierten Vortrag im ORF Landesstudio für die zunehmende Radikalisierung muslimischer Jugendlicher.
Ein Bericht von Rebekka Moser über den Vortrag von Ahmad Mansour
(ORF-Bericht über den Vortrag: V-Heute)
Düster ist es das Bild, das der Programmdirektor der „European Foundation for Democracy“
zeichnet. Unsere Gesellschaft habe der Radikalisierung muslimischer Jugendlicher kaum etwas entgegenzusetzen und jedes gesellschaftliche Problem sei auch ein Problem von Schulen und somit von
Pädagogen. Mansour weiß, wovon er spricht. Nicht nur die jahrelange Beratung radikalisierter Jugendlicher, sondern auch seine eigenen Erfahrungen machen ihn zum Experten. Der
Bestsellerautor lebt heute in Berlin, aufgewachsen ist er aber als muslimischer Israeli - eine Kindheit mit Konfliktpotential. Rückblickend weiß er sehr gut, warum er beinahe selbst zum radikalen
Muslim geworden wäre. Er war ein Außenseiter, ein Streber ohne Freunde und ein geeignetes Opfer für den Imam der heimischen Moschee. „Es ist ein Machtgefühl, das man auf einmal spürt. Man fühlt
sich besser als alle anderen und man gehört zu den moralisch Guten, die Druck ausüben können“, sagt das ehemalige Mobbingopfer Mansour und räumt mit einem Klischee der Radikalisierung auf.
Elitärer Stolz statt Angst
Nicht Diskriminierungen stehen am Anfang einer Radikalisierung, sondern Lebenskrisen wie zerrüttete Familien, Krankheit und Tod, psychologische Traumata oder das Fehlen der Vaterfigur. Salafismus
entstehe nicht aus dem Nichts, er setze genau dort an, wo Jugendliche am empfindlichsten sind - bei der Suche nach der eigenen Identität, der Sehnsucht nach dem Dazugehören. Die radikalen Muslime
holen
Jugendliche ab. Sie unterstützen, bieten Ordnung und Sicherheit nach einer oft verzweifelten Suche nach Sinn. Sie ersetzen nicht selten auch den Vater, wichtig für Jugendliche, die mit patriarchalischen Strukturen groß geworden sind. Plötzlich hat man Halt und ist jemand. Der kleine Ahmad hat seinen Mitschülern gesagt, was haram und was halal ist, seiner Mutter hat er vorgeworfen, dass sie keine richtige Muslima sei ohne Kopftuch und der Imam war stolz auf ihn. Genau so funktioniere dieses Muster auch heute noch.
Strategien für Pädagogen
Salafisten seien gute Sozialarbeiter, die Jugendlichen Bewältigungsmechanismen für Krisen zur Verfügung stellen. Orientierungslose Jugendliche biete der extreme Islam und sein absoluter
Buchstabenglaube Halt. Genau hier gelte es, als Lehrer anzusetzen. Auf Augenhöhe diskutieren, hinterfragen und gemeinsam diskutieren so oft und so viel wie möglich. Gespräche ohne Vorwürfe, aber
mit vielen Fragen, können radikale Tendenzen abfangen. Nur eine eigne Meinung mache kritisch. Vielen muslimischen Kindern und Jugendlichen fehle laut Mansour eine Streitkultur vollkommen. Man
hinterfrage nicht, weil man es schlicht und einfach nicht gelernt hat und zudem durch Angst geprägt sei. Der Diplom Psychologe führt ein einfaches Beispiel an. Für die Mehrheit der Christen ist
die Hölle nur noch ein Gedankenkonstrukt, für die meisten Muslime sei sie aber eine Tatsache. Ein Werbeslogan für den islamischen Staat – „der Tod stirbt nicht“ – bringt diese Einstellung auf den
Punkt. Für Radikale zähle nur der Glaube im Leben, nicht die Familie, nicht der Job, nichts Irdisches im Vergleich zu Allah und dem Paradies.
Umdenken gefordert
Mansour spricht in seinem Vortrag mehrmals von falscher Toleranz und zu viel Freiraum, den wir in unserer Gesellschaft dem Extremismus lassen. Besonders klar ist er dabei, wenn es um den
politischen Islam und seine Organisationen oder Vereine geht. Der Psychologe macht aber auch deutlich, dass eine Radikalisierung von Schülern auch schleichend sein kann und im Kleinen
stattfindet. Besonders an Schulen gelte es, jeden Tag Stellung zu beziehen und Toleranz nicht falsch auszulegen. Mansour führt mit dem Schwimmunterricht für Mädchen ein praktisches Beispiel aus
dem Schulalltag an. „Wir helfen dem muslimischen Mädchen nicht, wenn wir eine Befreiung zulassen, im Gegenteil wir akzeptieren und unterstützen, dass es nicht gleichberechtigt ist.“
Vor allem bei den konservativen Geschlechterrollen sei anzusetzen, wenn man Extremismus im Alltag bekämpfen wolle und bei der Digitalisierung. Man überlasse den Extremen das Propagandafeld und
kämpfe mit wertlosen Broschüren gegen übermächtige soziale Medien. Mansour wendet sich am Ende seines Vortrages und auch in der anschließenden Diskussion an die anwesenden Schüler: „Das ist euer
Thema, Ihr könnt die Welt ändern!“
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